Karsten Packeiser, Moskau. Mehr Touristen, weniger Hotelbetten. Alte Bettenburgen am Kreml werden schneller abgerissen, als neue Hotels gebaut werden. Ein Blick in die Zukunft der Hotelbranche in Moskau.
Die Moskauer Stadtbehörden erklären bereits seit Jahren, Moskau zu einem der wichtigsten Touristen-Zentren der Welt machen zu wollen. Schon heute sorgt der Reiseverkehr für sieben Prozent des städtischen Bruttosozialprodukts. Die Zahl der ausländischen Touristen könnte sich nach Prognosen des Fremdenverkehrskomitees von derzeit knapp 2,5 Millionen in den kommenden fünf Jahren verdoppeln. Ein Programm ist ausgearbeitet worden, das die Verdreifachung der Hotelbetten bis 2010 vorsieht.
Große Pläne: Dreimal mehr Betten bis 2010
Seit der Stalin-Zeit hatten die Moskauer Stadtbehörden allerdings schon etliche Rahmenprogramme zur Entwicklung des Hotelwesens in der Hauptstadt verabschiedet, von denen keines vollständig umgesetzt wurde. Auch derzeit scheinen die optimistischen offiziellen Prognosen sich nicht zu bewahrheiten – und das nicht nur wegen der überhöhten Preise.
Mitte April endete etwa eine Grundstücks-Auktion mit einem Fiasko: Von 17 Grundstücken, die von der Stadtregierung zum Bau neuer Hotels freigegeben wurden, fanden nur vier einen Investor. Die anderen Flächen lagen weit am Stadtrand oder sogar außerhalb des Einzugsbereichs der Metro.
Hotelmarkt mit Sprengstoff neu geordnet
Vorerst nehmen die Hotelkapazitäten in der russischen Hauptstadt sogar weiter ab: Häuser wie das „Leningradskaja“ und das „Ukraina“ sollen von Grund auf renoviert werden, weswegen sie voraussichtlich für längere Zeit schließen müssen. Eine Reihe von Großhotels wurde bereits ganz abgerissen, um Neubauten Platz zu machen: Den Anfang machte das „Intourist“.
Trotz erbitterten Widerstands durch Denkmalschützer und das Kulturministerium folgte danach das „Moskwa“, das angeblich einsturzgefährdet war. Nach Monate langen Hin und Her soll es nun immerhin originalgetreu wiedererstehen. Am Stadtrand wurde das Hotel „Sport“ gegenüber dem deutschen Konsulat gesprengt. Mit den Rekonstruktionsplänen für das „Minsk“, einen gesichtslosen sozialistischen Betonbau an der Flaniermeile Twerskaja, sind für das letzte preisgünstige Hotel der Innenstadt ebenfalls die letzten Tage angebrochen.
Letzte Galgenfrist für Hotel Rossia
Das wichtigste Abrissprojekt steht allerdings für 2006 bevor: Das gigantische „Rossia“, seinerzeit mit seinen 3.070 Betten das größte Hotel der Welt, soll ebenfalls einem neuen Luxushotel weichen. Zwar ist das „Rossia“ für seinen sozialistischen Service und die labyrinth-artigen Korridore berüchtigt, in denen sich jeder Hotelgast verirrt. Doch mit moderaten Preisen und der unmittelbaren Nähe zum Kreml und dem Roten Platz blieb es eine der bevorzugten Adressen auch für westliche Besucher.
Diese ansiocht soll aus dem Stadtbild verschwinden: Das
Für seinen Bau war in den 60er Jahren ein 13 Hektar großes, historisches Stadtviertel dem Erdboden gleich gemacht worden. Für 850 Millionen Dollar (etwa 650 Millionen Euro) will der Bauunternehmer Schalwa Tschigirinski an dieser Stelle einen neuen Luxus-Hotel-Komplex samt Einkaufszentrum errichten. Ausweich-Quartiere für die „Rossia“-Gäste sind nicht in Sicht.
Andere Hotels gibt es ohnehin seit Jahren nur noch auf dem Papier, so etwa das „Zentralnaja“. Das legendäre Innenstadt-Hotel, in dem unter dem damaligen Namen „Lux“ während der Stalin-Ära ausländische Exil-Kommunisten einquartiert waren, vermietete ganze Etagen als Büros.
Orientalischer Basar statt Hotel
Und am südlichen Stadtrand von Moskau haben tausende afghanischer Flüchtlinge und Händler das Hotel „Sewastopol“ in einen riesigen Basar verwandelt. In den einstigen Zimmern werden Kosmetika, Gewürze und gefälschte Markenkleider verkauft, der frühere Speisesaal wurde zur Moschee umfunktioniert.
Die stillen Zimmer-Reserven: Büroräume
Insgesamt soll bis zu einem Drittel aller Moskauer Hotelzimmer zweckentfremdet worden sein, berichtete die „Iswestia“ unlängst. Erst im Februar 2005 verbot Oberbürgermeister Juri Luschkow allen Hotels, die sich ganz oder teilweise in städtischem Besitz befinden, ihre Zimmer als Büroräume zu vermieten. Die Umsetzung der Verordnung lässt bislang auf sich warten.
Über 30 Prozent der Moskauer Hotels befinden sich nach wie vor ganz oder teilweise in Staatsbesitz und werden von der Stadtregierung kontrolliert. Eine kuriose Sonderstellung nimmt das komfortable Hotel Danilowskaja südöstlich des Stadtzentrums ein, das der Russischen Orthodoxen Kirche gehört.
Schon das riesige Ölgemälde von Patriarch Alexi II. in der Lobby weist auf den Eigentümer hin. Auch einige russische Großkonzerne wie der Diamantenförderer „Alrossa“ betreiben eigene Hotels. Kleine Privathotels und Hostels für Rucksackreisende gibt es dagegen nur eine Handvoll in ganz Moskau. Selbst dort ist eine Übernachtung deutlich teurer als in vergleichbaren Unterkünften anderswo in Europa. Aber Bewegung gibt es auf dem Moskauer Hotelmarkt seit einigen Jahren doch.
(kp/.rufo)
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