Russland-Aktuell
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Montag, 28.06.2010 | ||||||||||||||
Hinter den Kulissen der größten Filmschmiede Russlands |
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Die Autogrammjäger warten schon. Mit Stiften und Notizblöcken in den Händen lauern sie darauf, dass ein Filmstar oder ein Seriensternchen um die Ecke biegt und seine Unterschrift auf die entgegenstreckten Blöcke kritzelt. Propaganda vom FeinstenDoch an diesem Donnerstagnachmittag ist nicht viel los. Und so wartet die Meute auf Kasimir Dmitrijewitsch, einen kleinen untersetzten Mann mit schwarzem Schnurbart. Er wird sie auf das 13.000 Quadratmeter große Studioareal führen. Dort wird er ihnen den Kostüm-Fundus und den Fuhrpark zeigen und sie über das Filmset vorbei an den Häuserattrappen des vorrevolutionären Moskau lotsen. Es gibt viel zu bestaunen in Mosfilmstadt. Mit etwas Glück auch Filmsternchen.
Drei Jahre später wird auf den Sperlingsbergen im Süden Moskaus eine komplette Kinostadt errichtet, die alle Produktionsstufen vom Dreh- bis zum Tonstudio an einem Ort vereinte. Eine Filmfabrik entstand, die zu Sowjetzeiten ein wichtiges Rädchen in der Propagandamaschine der kommunistischen Partei war. Kalter Kino-KriegDer größte und teuerste Film, der die Studios je verlassen hat, stammt noch aus diesen Zeiten. Unmengen Geld flossen in die filmische Adaption des Romans „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi. Mit einer Gesamtlaufzeit von knapp acht Stunden war er einer der längsten Spielfilme, die jemals gedreht wurden. Die Schlacht- und Kampfszenen des Films gingen ins Guinness Buch der Rekorde ein. Für die Sowjetunion war es zugleich ein Kampf gegen den Westen: Mosfilm gegen Hollywood. Showtime im Kalten (Kino)-Krieg. 1969 gab es dafür einen Oscar. Historische Fahrzeuge aus dem 20. JahrhundertKasimir Dmitrijewitsch fragt mit hochgezogener Augenbraue, wer von den Autogrammjägern denn wisse, welche Produktionen aus dem Hause Mosfilm noch einen Oscar gewonnen hätten. Doch es schauen ihn nur ratlose Gesichter an. Bei einer richtigen Antwort, lockt er, dürfe man Platz in einem der alten historischen Fahrzeuge nehmen, die Mosfilm in einem eigenen kleinen Museum ausgestellt hat. Doch auch das ändert nichts am kollektiven Schulterzucken. Die Meute vergibt ihre erste Chance auf einen echten Filmstar.
Alle Fahrzeuge sind fahrtüchtig – für den Fall, dass sie im nächsten Heldenepos wieder zum Einsatz kommen müssen. Das prominenteste Gefährt ist ein Mercedes Benz 230 aus dem Jahr 1938. In ihm pflegte Russlands berühmter Geheimagent Max Otto von Stierlitz zu reisen. Stillstand nach dem SystemzusammenbruchMehr als 2.500 Filme hat Mosfilm zu Sowjetzeiten produziert, darunter „Krieg und Frieden“, „Uzala, der Kirgise“ und “Moskau glaubt den Tränen nicht“, die übrigens alle mit einem Oscar ausgezeichnet wurden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aber kam die Krise. In den neunziger Jahren ruhte die Produktion des Filmkonzerns fast vollständig. Das ist zum Glück vorbei: Eine werbewillige Wirtschaft und staatliche Fördermittel lassen die Filmindustrie in Russland heute wieder boomen. So wurde Schritt für Schritt die Modernisierung des Konzerns vorangetrieben.
Das alte Moskau wieder aufgebautDie Tour führt vorbei an den Überresten der neuen Blockbuster. Auf knapp 5.000 Quadratmetern entstand 2003 aus Sperrholzplatten, Gipskarton und Schaumstoff eine Nachbildung des alten vorrevolutionären Moskau. Die Häuserattrappen bildeten ursprünglich die Kulisse für den Film „Ein Reiter namens Tod“, tauchten aber mittlerweile in mehr als dreißig Film- und Serienproduktionen auf, darunter “Doktor Schiwago“ und „Anna Karenina“.
Mittelalterliches Dorf neben futuristischem WolkenkratzerUmrahmt von einem großen eisernen Zaun ragen dort die windschiefen Dächer eines alten hölzernen Dorfs empor. Surreal und wie ein Fremdkörper blitzt im Hintergrund ein gläserner Wolkenkratzer auf. „Der war bei Errichtung des Sets noch nicht da“, erklärt Kasimir Dmitrijewitsch, „Für die Dreharbeiten ist das aber auch nicht weiter schlimm, der wird hinterher durch Computertechnik wieder entfernt.“ Die Technik macht es möglich. Doch auch mit originärer Handarbeit kann Kasimir Dmitrijewitsch die Filmfans begeistern. Zurück im Museum hält er einen Kopf aus Latex in den Händen und beschreibt, wie professionelle Maskenbildner die Darsteller durch Make-Up und Modelliermasse in Monster und Ungeheuer verwandeln. Die Fotoblitze zucken. Das digitale Zeitalter bricht anNach anderthalb Stunden ist die Tour hinter die Kulissen der inszenierten Kinowelt vorbei. Doch der Konzern hat noch mehr zu bieten. Derzeit arbeitet Mosfilm fieberhaft daran, seine alten Filmstreifen zu digitalisieren. Um ein größeres internationales Publikum zu erreichen, plant der Konzern außerdem, einen Teil der Filme künftig in Englisch und Deutsch zu untertiteln. 250 alte und neue Filme stehen bereits auf der Internetseite zum Download bereit. |